Ein Teil der Familie Gierse aus Untervalme vor ihrem Heuwagen 1933; der Standplatz des Wagens ist heute durch Ferienhäuser bebaut, Hangbereiche nördlich vom Weiler gehören heute zum Landschaftsschutzgebiet Grünlandhänge des Valmetals.

Quelle: Josef Gierse, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

Oma Mias Geschichten (fiktiv)

Untervalme anno 1898

Mit gefalteten Händen saß die Großmutter in ihrem Lehnstuhl. Sie hielt ihr obligatorisches Mittagsschläfchen. Selbst im Schlaf wirkte sie noch beherrscht. Der Rücken war krumm geworden von der harten Arbeit. Sie wirkte schmächtig mit ihren schmalen Schultern, auf denen jahrzehntelang so vieles gelastet hatte. Selbst jetzt, wo sie auf dem Altenteil saß, waren ihre Hände fast immer mit etwas beschäftigt: Sie schälte Kartoffeln, strickte oder hatte eines der Kinder auf dem Schoß. 

Das Alter hatte sie milder gemacht und mit uns Enkelkindern scherzte sie oft. Das hatten ihre Kinder selten erlebt. Wir Kinder nannten sie liebevoll Oma Mia und lauschten gern ihren Geschichten. Und davon gab es so einige. Nicht nur Geschichten aus ihrem Leben. Sie kannten auch die ganz, ganz alten Geschichten aus dem Dorf und gab sie an uns weiter. Im18.Jahrhunderts war sie mit ihren Eltern nach Valme gekommen.

Ich bin eine alte Frau geworden, hier in Untervalme. So viele Jahrzehnte habe ich gearbeitet, den Hof mit aufgebaut, Kinder geboren, Felder bestellt. Und doch weiß ich, dass meine Geschichte nicht mit mir beginnt – sie beginnt früher. Viel früher.

Valme war schon im Jahr 1315 in einer Urkunde erwähnt worden – in der Teilung der Grafschaft Rüdenberg. Drei Freigüter habe es hier gegeben, sagte mein Großvater oft, mit ehrfürchtiger Stimme. Und wie der Bach, der durch unser Tal fließt, so war auch die Grenze gezogen: rechts der Valme gehörte das Land zur Grafschaft Waldeck, links zur Grafschaft Arnsberg. 

Doch der Ort verfiel im 15. Jahrhundert, wurde zur Wüstung. Die Flächen gingen in den Besitz der Herren von Gaugreben über. Jobst Hildebrand von Gaugreben, ein Name, der mir schon als Kind Respekt einflößte, erhielt vor gut 300 Jahren einen Teil dieses Landes und machte es zum Rittergut. Er ließ sogar ein altes Jagdschloss erneuern, das „Castrum Falme“. Ein Schloss in unserem Tal! Ich habe es nie gesehen, nur von ihm gehört – aber allein der Gedanke, dass es einst hier stand, erfüllte mich mit Staunen.

Später, gegen Ende des 17. Jahrhunderts, zogen die von Gaugreben fort, doch Valme blieb nicht leer. Neue Siedler kamen aus den umliegenden Ortschaften und ließen sich um 1710 hier nieder, zuerst als Zeitpächter. Darunter auch meine Vorfahren, die aus Ramsbeck stammten. 1824 wurde die Zeitpacht dann in eine Erbpacht umgewandelt. Und noch etwas später war es dann ihr eigenes Land. Darauf waren alle Bauern im Ort mächtig stolz.

Und sie vergaßen auch nicht, sich bei unserem Herrgott dafür zu bedanken. Fast eine Landmeile (ca. 7,5 km) ist es zur Kirche St. Cosma und Damian in Bödefeld. In jungen Jahren war das für mich gerad ein Katzensprung, aber jetzt fällt es mir doch sehr schwer, dorthin zu kommen. 

Ich bin auch froh, dass endlich eine Kapelle im Ort gebaut wird. Eine Kapelle für die Heilige Maria, die Hilfe der Christen. Sie sagen, sie wird schön werden, mit einem neugotischen Altar, wie es jetzt Mode ist. Ich werde wohl nicht mehr oft darin sitzen. Aber allein der Gedanke, dass sie da sein wird – das tröstet mich. Denn ein Ort braucht ein Herz. Und ich glaube, das wird die Kapelle sein.

 

Fakten

  • Erste urkundliche Nennung am 7. April 1315 in der Teilungsurkunde der Grafschaft Rüdenberg
  • Der Fluss Valme war die Grenzlinie zweier Herrschaftsbereiche: Östlich der Valme: Grafschaft Waldeck, Westlich der Valme: Grafschaft Arnsberg
  • Verfall der Siedlung im 15. Jahrhundert (Wüstung)
  • Übernahme durch die Herren von Gaugreben
  • Ab 1580 Ausbau zum Rittergut durch Jobst Hildebrand von Gaugreben
  • 1590: Erneuerung des Jagdschlosses „Castrum Falme“ 
  • Um 1700: Verlegung des Wohnsitzes der Familie von Gaugreben nach Baldeborn
  • Um 1710: Ansiedlung neuer Bewohner als Zeitpächter
  • Entstehung der Ortschaften Ober- und Untervalme
  • 1824: Umwandlung der Zeitpacht in Erbpacht, spätere Ablösung der Erbpacht und Übergang in freies Eigentum
  • 1899/1900 in Obervalme wir eine Kapelle mit neugotischen Stil gebaut, die der Heiligen Maria gewidmet ist. 
  • Der Ortsname „Valme“ geht auf das indogermanische Wort für „gießen“ oder „fließen“ zurück.

 

 

Text: Christel Zidi

 

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