Ortswüstungen in Westfalen
Eine Zeit des Umbruchs

Die Wüstung Wernsdorf bei Elkeringhausen ist heute noch Namensgeberin einer Straße in Winterberg
Foto: Georg Hennecke
Im 14. Jahrhundert erlebte Westfalen eine stille, aber tiefgreifende Veränderung: Dörfer, die über Generationen hinweg gewachsen waren, verschwanden. Besonders betroffen war ein breiter Streifen vom Siegerland bis in den Raum Minden. Während kleine Siedlungen aufgegeben wurden, wuchsen an anderer Stelle größere Orte heran. Noch heute lässt sich dieser Wandel ablesen – dort, wo einst viele kleine Dörfer lagen, finden sich heute die großen Weilerdörfer in den „Waldgebirgen“ und die ausgedehnten Dörfer der fruchtbaren „Börden“.
Warum so viele Dörfer verschwanden
Eine der dramatischsten Ursachen war die Pest, die 1349 Europa heimsuchte. Nach Jahren voller Missernten, Hungersnöte und schlechter Witterung kam die Seuche wie ein letzter Schlag. Rund ein Drittel der Menschen starb. Ganze Landstriche verwaisten, und wer konnte, zog weiter in Gebiete mit besseren Böden oder sichereren Lebensbedingungen.
Doch nicht nur Krankheit zwang die Menschen zur Flucht. Auch das ständige Fehdewesen – kleine, oft gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Adligen – machte das Leben auf abgelegenen Höfen gefährlich. Schon im 13. Jahrhundert begannen viele, Schutz innerhalb befestigter Städte zu suchen. Ab etwa 1360/70 verschärfte eine Agrarkrise die Lage weiter: Felder blieben unbestellt, Dörfer leerten sich – viele für immer.
Spuren in der Landschaft
Besonders oft traf es kleine Weiler aus der Ausbauzeit zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert. Ihre Namen verraten ihre Entstehungszeit: Endungen wie -hausen, -shausen oder -inghausen waren typisch. Ältere Siedlungen mit schwer verständlichen Namen, oft gegründet zur Zeit der Karolinger und Ottonen, konnten sich etwas länger halten – doch auch sie blieben nicht immer verschont. Besonders in Stadtumfeldern oder abgelegenen Regionen verschwanden ganze Dörfer.
Ein Blick auf die westfälische Wüstungslandschaft
Heute sind etwa 300 Ortswüstungen in Westfalen-Lippe archäologisch nachgewiesen, tatsächlich dürfte ihre Zahl jedoch noch höher liegen. Besonders im Hochsauerlandkreis häufen sich die verlassenen Orte – etwa ein Viertel aller bekannten Wüstungen liegt hier.
Ein besonderes Zeugnis dieser Zeit ist die Kirchortwüstung Nieder-Upspringen bei Marsberg: eine der wenigen erhaltenen Wüstungskirchen Westfalens. In der Nähe, im ehemaligen Dorf Twesini, fanden Archäologen Spuren von mittelalterlicher Kupferverhüttung. Auch in Dorpede, ebenfalls bei Marsberg, konnten die Reste einer alten Kirche nachgewiesen werden. Viele der Wüstungen, etwa Reninghausen, tragen noch im Namen die Erinnerung an ihre Ursprünge – in diesem Fall in einem kleinen steinwerkartigen Bau, der entdeckt wurde.
Im 14. Jahrhundert begann die Natur, sich ihr Terrain zurückzuerobern. Die einst mühsam angelegten Terrassenäcker beiderseits des Rothaargebirges verwaldeten. Die Spuren dieser alten Kulturlandschaften erzählen noch heute von einer Zeit großer Umbrüche und der Kraft der Natur, sich verlassene Orte zurückzuholen.
Quelle:
https://www.lwl.org/westfalen-regional-download/PDF/074n_Ortswuestungen.pdf 26.4.25
Ebenfalls eine Wüstung: Wenn man genau hinschaut, erkennt man noch den Grundriss der Kirche (Foto links) unterhalb der ehemaligen Burg Altenfils bei Rösenbeck (Fotos Mitte und rechts).
Foto: Georg Hennecke