Seltsame Kreaturen an Sauerländer Kirchen

Lange Schwänze umschlingen die oberen und unteren Teile der Säulen. Seltsame Wesen halten sich in Nischen verborgen, sind oft erst beim genaueren Hinsehen zu erkennen. Auf mancher Wanddecke tummelt sich die Drachenbrut. Baumeister des Mittelalters positionierten Gargoyles – groteske Skulpturen, die auf Dächern das Regenwasser ableiten – und andere Bestien oft in größeren Höhen an den Außenwänden, wo sie – kaum sichtbar – die Kirchgänger nicht abschreckten, gleichzeitig aber Dämonen abwehren sollten. Nicht nur am Notre-Dame in Paris oder am Kölner Dom sind solche Bestien zu sehen, auch in vielen alten Kirchen des Sauerlandes verstecken sich seltsame Kreaturen. Doch auch solche, die uns zwar vertraut sind, deren Gegenwart in der Kirche im ersten Moment etwas befremdlich anmuten kann.

Sehr alte Kirchen stehen oft auf einst heidnischen Kultplätzen. Das macht schon aus strategischen Gründen Sinn, denn manche Orte ziehen die Menschen fast magisch an. Auf jeden Fall brauchten sie sich nicht umzugewöhnen, sondern trafen sich zu den Gottesdiensten weiter am selben Ort.

Alte katholische Kirchen sind oft reich geschmückt mit Figuren, Malereien und architektonischen Ausschmückungen. Kreuze, Marienfiguren, Engel und die vielen Heiligen sind uns vertraut. Doch so einige Symbole kann der Laie mit dem Christentum erst mal gar nicht in Verbindung bringen. Sind die etwa vorchristlichen Ursprungs – und war die gewaltsame Auslöschung des Heidentums doch nicht so gründlich?

 

Nikolai-Kirche in Obermarsberg

Im Mittelalter, als viele dieser alten Kirchen gebaut wurden, war die Vorstellung von Dämonen noch allgegenwärtig. Es war die Zeit, als die Menschen die Erde noch für eine Scheibe hielten, an deren Enden sich zahlreiche höllische Gestalten tummelten. Bildhauer verarbeiteten diese Vorstellungen, indem sie z. B. abschreckende Gestalten an den Außenwänden anbrachten – um andere Dämonen davon abzuhalten, die heilige Stätte zu betreten.

Mit der Christianisierung tauschten die Germanen ihre zahlreichen Naturgötter gegen den einen wahren Gott ein. Manche Anthropologen behaupten, dass die Kirche ihnen später die vielen Heiligen als Ersatz für ihre zahlreichen Gottheiten gab – jede Menge Legenden gab es als Bonus dazu. Ob sich die Forscher mit dieser These zu weit aus dem Fenster gelehnt haben, möge jeder für sich entscheiden. Die Kirchenheiligen waren – anders als Wodan, Thor und Co. – wesentlich friedfertiger, und die Gläubigen vertrauten darauf, von ihnen Trost und Hilfe zu bekommen.

Alte katholische Kirchen sind oft reich geschmückt mit Figuren, Malereien und architektonischen Details. Kreuze, Marienfiguren, Engel und die vielen Heiligen sind uns vertraut. Doch so manche Symbole kann der Laie mit dem Christentum erst einmal gar nicht in Verbindung bringen. Sind sie etwa vorchristlichen Ursprungs – und war die gewaltsame Auslöschung des Heidentums doch nicht so gründlich?

 

Die Christianisierung Westfalens begann mit Karl dem Großen im 8. Jahrhundert. Das wichtige germanische Heiligtum, die Irminsul, die bei Marsberg gestanden haben soll, ließ Karl zerstören – und entfachte mit diesem Religionskrieg, wie wir es heute nennen würden, die 30 Jahre andauernden Sachsenkriege. Sein überlebensgroßer, aus Stein gehauener Kopf ist noch heute an der äußeren Südseite der Obermarsberger Nikolaikirche zu sehen. Kein Wunder, dass Ulrike Frey vom Erzbistum Paderborn, Abteilung Kunst, uns auch gleich auf diese Kirche verwies.

Pfarrkirche St. Lambertus in Ense-Bremen

Das Kirchenportal in Ense-Bremen mit seinen drei Bildwerken gehört zu den ältesten und eigenartigsten Portalskulpturen altwestfälischer Bildhauerkunst (Fotos Enser Kirche: Bernhard Bahnschulte).

Besonders interessant ist der Blick auf das Dreibilderwerk am Portal – vermutlich die älteste Krippendarstellung Westfalens. Im Tympanon über der Tür sieht man die Geburt Christi als Hauptbild.

An den Seiten sind die überwundenen Gottheiten Donar und Fria dargestellt (s. nächste zwei Fotos). Zusammenfassend soll hier der Sieg des Christentums über das Heidentum visualisiert werden. Auffällig: Sowohl Josef als auch die Hirten und Donar tragen nicht den jüdischen Spitzhut, sondern sogenannte Sachsenhüte. Die Bildwerke entstanden vermutlich Mitte des 12. Jahrhunderts.

 

Der Neheimer Heimatforscher Bernhard Bahnschulte hat uns eine Erklärung für die Skulpturen geliefert. Dargestellt sind zwei der höchsten Gottheiten der Sachsen. Links oben Donar, mit dem „Donnerkeil“, der bis heute als Glücksbringer und Abwehrzeichen gegen das Böse gilt. Links unten ist kein keulenschwingender Mann, sondern Fria, die Lieblingsgöttin der Sachsen zu sehen. Sie hält einen Spinnrocken in der Hand und lässt den gesponnenen Faden in den Schoß fallen.​

Doch was haben diese Sachsengötter an einer Kirche zu bedeuten? Bahnschulte deutet das als überwundene Gottheiten, als Dämonen, die in die Kirchenwände eingemauert sind - ausgeschlossen von der Kirche und deren Wohltaten.

In Bremen und im benachbarten Niederense entdeckte man in den frühen 1960er-Jahren sächsische Friedhöfe. Vermutlich wird sich dort eine heidnische Kultstätte befunden haben. Auch die älteste Form des Ortsnamen Ense, “Anesi” = bei der Göttin, deutet darauf hin.

St. Cyriakus in Schmallenberg-Berghausen

Wunderschöne Fresken kann man in der Pfarrkirche St. Cyriakus in Schmallenberg-Berghausen bestaunen. Sie gehört zu den ältesten Kirchen im Hochsauerlandkreis. In der Apsis – der Altarnische im Chor der Kirche – ist die römische Glücksgöttin (oder Göttin des blinden Zufalls) mit dem „Rad der Zeit“ dargestellt.
 

Wahrscheinlich handelt es sich um die einzige Darstellung der heidnischen Göttin Fortuna in einer Apsismalerei.

Links vom Rad ist ein geschmückter Kaiser zu sehen – vermutlich Philipp von Schwaben. Rechts zeigt sich ein Kontrastbild: Kaiser Otto von Braunschweig, der gesenkten Hauptes seine Krone verliert und sein Zepter sinken lässt.

 

Foto: Helge Klaus Rieder

 


 

Drachen in Eversberg...

Der gläubige Christ senkt seinen Kopf beim Gebet und hebt ihn, um der Predigt folgen. Eher sind es Kinder, die ihre Köpfe zum Himmel bzw. zum Deckengewölbe strecken. Und da gibt es im westlichen Gebäudeteil der Eversberger St. Johannes-Pfarrkirche Erstaunliches zu entdecken: Während das übrige Gewölbe mit Sternen und Sternsymbolen geschmückt ist, gibt es im hinteren Teil der Kirche Drachen, Fabeltiere, Greifvögel zu sehen. Sie sollen die bösen Geister symbolisieren,  die vor Christus, dem Licht, in die Dunkelheit fliehen müssen.

 

                                                                                                                                

 

...und Niedermarsberg

Der drachentötende Erzengel Michael hängt über dem Eingang zur Sakristei in St. Magnus Niedermarsberg. Nicht verwunderlich, denn in Marsberg muss es wohl eine wahre Drachenplage gegeben haben. Unweit der historischen Altstadt sollen sie gehaust haben, in den Drakenhöhlen.

 

Foto: Steffen Schmitz by wikimedia commons​

Der Kranich in Körbecke

​Auch in Möhnesee-Körbecke waren die Flugsaurier aktiv, denn der Kanzeldeckel wird von einer Figur des Erzengel Michael (des Drachentöters) bekrönt. Er besiegt den gehörnten Teufel und hält in seiner linken Hand eine Schlange. Die Pankratius-Kirche birgt noch weitere Geschichten und Geheimnisse: Zwischen den Arkantuswedeln am Treppenaufgang zur Kanzel klettert ein Kranich die Stufen herauf, er beißt in die Nase eines Mannes, des Pfarrers Mappus.

Hintergrund: “Meister Stütting trank viel und hat oft den Pfarrer um Geldvorschuss gebeten. Der Pfarrer hielt ihm deshalb eine Strafpredigt. Der Pfarrer seinerseits aber genoss viel Schnupftabak. Ihm hielt Meister Stütting diese geschnitzte “Predigt”: Faß dich zuerst an deine eigene Nase, bevor du anderen etwas vorpredigst. Bisher haben alle Pfarrer die Darstellung stehen lassen.” (Foto und Erklärung aus dem Buch: "Erbaut zur Ehre Gottes. Die Pfarrkirche St. Pankratius in Möhnesee Körbecke", Hg. Pfarrei St. Pankratius,  Pfr. Alfons Dicke).

Die Wangen der Kirchenbänke in Körbecke sind mit 96 unterschiedlich geschnitzten Engelköpfen geschmückt. Man erzählt sich, dass die Gesichter der Mädchen aus dem Ort als Vorlage gedient haben. Die Bänke zieren aber auch reichlich Blüten, Blattwerk, Trauben, Eicheln und andere Früchte. Diese Ornamente sollen die gesamte Schöpfung symbolisieren.

 

Foto: Der Kranich und der Pfarrer

Pelikane, Einhörner, Hasen 

 

Pelikane

In den Pfarrkirchen St. Laurentius in Brilon-Scharfenberg und St. Martin in Olsberg-Bigge tauchen Pelikane auf. Das hat folgenden Hintergrund: Als ein Beobachter vor langer Zeit sah, wie die Jungen des Pelikans ihr Futter tief aus dem Kehlsack der Eltern holten, erschien es ihm, sie würden sich an deren Brustfleisch nähren. Hinzu kam, dass der Kehlsack des Krauskopfpelikans sich während der Brutzeit rot färbt – was an eine Wunde erinnert. Daraus entstand die Allegorie der sich selbst verschenkenden Liebe, sinnbildlich für Jesus und seinen Opfertod.

Hätte man die Lutherbibel aus dem Griechischen exakter übersetzt, wäre die Anwesenheit des Pelikans in Kirchen leichter nachzuvollziehen gewesen. Da Pelikane im Norden selten vorkommen, wurde aus der griechischen Vorlage ursprünglich die Rohrdommel, eine Reiherart – später sogar eine Eule.

Einhorn

Auch Fabelwesen zeigen sich in sauerländischen Kirchen: In der St.-Petri-Kirche in Hüsten finden sich in den Fensterausschnitten der seitlichen Chorwände vier runde Bilder. Einhorn und Löwe sind klar zu erkennen, zusätzlich zwei Vögel. Sind hier Pelikan und Taube dargestellt?

Einhörner waren bereits in der Antike bekannt – jedoch nicht als mythologische Wesen. Antike Denker wie Aristoteles oder Plinius der Ältere erwähnten Tiere mit nur einem Horn – womit auch das Nashorn gemeint gewesen sein könnte.

Das Einhorn wurde später christlich umgedeutet: Es kann als Symbol für die Person des Heilands stehen, manchmal auch für die Jungfräulichkeit Mariens, wie Pfarrer Daniel Maiworm erklärt.

Hasen, Affe und Bestie

In Brilon-Hoppecke steht die alte Kirche Mariä Heimsuchung gleich neben der neuen. Die alte Kirche wurde zwischen 1140 und 1170 erbaut und ist besonders wegen ihrer romanischen Flachornamentik bemerkenswert – einzigartig im Sauerland. Auch ein Blick auf die Fenster lohnt sich: Haben Sie das sogenannte Hasenfenster entdeckt?

Es ist angelehnt an das bekannte Drei-Hasen-Fenster im Paderborner Dom. Drei Hasen – drei Ohren – und doch jeder ein vollständiges Tier: Ein Sinnbild für die Dreieinigkeit Gottes.

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