Diverse Traditionen
SCHNADEGÄNGE
Der Schnadegang, auch bekannt als Schnadezug, Schnatgang, oder Flurumgang – in Hessen gelegentlich auch als Grenzgang oder Grenzegang bezeichnet – ist eine wertvolle Tradition, die in vielen Gemeinden, insbesondere in Westfalen und Hessen, eine Renaissance erlebt. Diese alten Bräuche haben ihre Wurzeln weit zurück in der Geschichte und sind von bemerkenswerter Faszination.
Der Begriff „Schnade“, im Niederdeutschen auch als „Snat“ oder „Schnaot“ bekannt, hat eine spezifische Bedeutung, die eng mit dem Konzept der „Schneise“ verknüpft ist, da er die Grenze repräsentiert. Historisch betrachtet entstanden diese Rundgänge häufig aus Streitigkeiten zwischen Gemeinden über den genauen Verlauf der Grenzen. In der Vergangenheit kennzeichneten die Menschen ihre Grenzen mithilfe von Waldschneisen, Bächen, Hecken oder Gräben.
Bis ins 17. Jahrhundert wurden eigens gepflanzte Bäume eingesetzt, in deren Rinde mit einer Axt ein Kreuz eingraviert wurde, um den Grenzverlauf zu verdeutlichen. Später kamen Grenzsteine, auch Hutesteine genannt, zur Anwendung. Diese Steine sind häufig aus einem anderen Material gefertigt als die umgebenden Steine, um ihre Sichtbarkeit zu erhöhen. Es ist ermutigend zu beobachten, wie diese Traditionen heute revitalisiert werden und die Gemeinschaft stärken.
Im Sauerland findet in diesen Orten regelmäßig ein Schnadegang statt: Arnsberg, Brilon, Ense, Hüsten, Medebach, Meschede, Neheim, Rüthen und Warstein.
Text: Christel Zidi

Die Briloner Schnade (Foto: Georg Hennecke)
Schnade Meschede
Vielleicht die älteste Bürgerbewegung in Meschede?
Vielleicht die älteste Bürgerbewegung in Meschede?
Im Stadtarchiv Meschede findet sich ein Protokoll aus dem Jahr 1656, das „eine Schnad“ belegt, die „erstlich in anno 1656… allhier zu Meschede… ausgegangen“ wurde.
„Schnade“ hängt mit dem Wort „Schneise“ zusammen. Schneisen dienten seit Jahrhunderten als Grenzbezeichnungen. Jede Grenze verleitete zu Grenzverschiebungen. Mit dem Schnadegang überprüften die beteiligten Gemeinden die Grenzeinhaltungen. Schnadegänge sind in unserem regionalen Umfeld seit dem 15. Jahrhundert bekannt. 1817 führte das preußische Innenministerium das Katasteramt ein. Damit war fortan die Regierung für die Grenzüberprüfungen zuständig und der Schnadegang der Gemeinden überflüssig. Da die Sauerländer aber an ihren Schnadezügen festhielten und sich dabei „mehrerer grober Exzesse“ schuldig machten, wurden die Schnadegänge 1841 von der Regierung komplett verboten. Vermutlich stehen die erwähnten „Exzesse“ auch mit dem Brauch des Pohl- oder Stutzäsen in Zusammenhang. Gemeint ist der nachhaltige Kontakt des nachgelagerten Körperteils, also Popo, der über den Grenzstein gezogen wird, um einem Neubürger diesen Grenzstein auf immer ins Gedächtnis zu brennen. So eine Art Nürnberger Trichter, nur eben andersherum.
Starkes Mescheder Traditionsbewusstsein
Die Mescheder haben ein starkes Traditionsbewusstsein und ließen den Schnadezug seit 1969 wieder aufleben. „Aus der Grenzbegehung wurde dabei eine Nachbarschaftsbegegnung“, wie der Vorsitzende des Arbeitskreises Schnadezug, Martin Eickelmann, erklärt. Ziel des Arbeitskreises ist die Erhaltung dieser uralten, wunderschönen Tradition, ein Anliegen, das auch unser Bürgermeister Christoph Weber teilt.
Die Bürger in Bewegung halten
Die Stadt Meschede umschließt seit der Neugliederung 1975 sechs historisch unterschiedlich entwickelte Gemeinschaftsformen, man könnte von unterschiedlichen „Kulturräumen“ sprechen: Die beiden Städte Eversberg und Grevenstein, die Freiheiten Meschede und Freienohl sowie die zwei Kirchspiele Calle und Remblinghausen. Sie alle haben ihre eigenen Schnadegang-Traditionen, die gleichberechtigt nebeneinander stehen. Der Rat der Stadt Meschede, der für die Organisation der Schnade zuständig war, hat 2018 seine Zuständigkeit für die Schnade abgegeben. Neue Konzepte wurden und werden ausprobiert, um die Bürger weiterhin in Bewegung zu halten.
Text: Sabina Butz
Das Sonnenvogel-Jagen

Bild: KI-generiert by Microsoft Copilot
In Altenilpe, einem kleinen Ort im Herzen des Sauerlands, wird ein alter westfälischer Brauch bis heute lebendig gehalten: das Sonnenvogel-Singen. Lange hielt sich dieser Brauch auch in Fredeburg, Kirchrarbach, Oberhenneborn und Sögtrop.
Jedes Jahr um den 22. Februar herum, dem Gedenktag der „Kathedra Petri“ (volkstümlich auch „Petri Stuhlfeier“ genannt), ziehen die Jungen des Dorfes – bis etwa 15 Jahre alt – von Haus zu Haus. Mit Holzhämmern oder Stöcken klopfen sie auf die Türschwellen und singen alte Reime, um die „Sonnenvögel“ zu wecken und gleichzeitig Ungeziefer und den Winter aus den Häusern zu vertreiben.
Dieser Tag galt früher als symbolischer Frühlingsbeginn. Bereits im Jahr 1423 wurde er im Herzogtum Westfalen in der Gesinde- und Tageslohnsordnung als Wechsel vom Winter- ins Sommerhalbjahr festgesetzt:
„… und de Somer sal an gan, an sunte peters daghe, als he to rome up den stol quam.“
Der Sonnenvogel ist dabei ein vielschichtiges Symbol. Im Sauerland steht er meist für einen Schmetterling, häufig gelb oder weiß, manchmal auch für einen Marienkäfer oder eine Lerche. In allen Deutungen jedoch ist er ein Bote des Frühlings, ein Zeichen für neues Leben, Wärme und Licht. In der Volkskunde wurde der Sonnenvogel auch mit dem Sonnenmythos der Germanen oder Attributen des Donnergottes Donar in Verbindung gebracht.
Begleitet wird der Brauch von einem alten Spruch, die ursprüngliche Melodie ist heute jedoch kaum noch bekannt:
„Räut, räut Sonnenvöuel, Senten Paiter is do,
Senten Tigges kümmet hernoh.
Kleine Möis, gräute Möis, alles äut dem Häuse räut,
äut Kisten und Kasten, äut allen Morasten.
In der stoinernen Klippe, do sas däu inne sitten.
In diär Steynkueuhlen, do sas däu inne verfäulen.
Bitt gint Johr ümme düse Teyt, bitt dat wier räuter räupet.
Räut! Räut! Räut!"
„Räut“ bedeutet dabei so viel wie „raus mit euch!“ – gemeint sind Mäuse, Käfer und anderes Getier, das sich über den Winter in den Häusern eingenistet hat. Am Ende des Umzugs erhalten die Jungen als Dank Süßigkeiten und Geld – gerecht verteilt untereinander: die Kleineren bekommen mehr Süßes, die Größeren etwas weniger davon, aber dafür mehr Geld.
Text: Christel Zidi